2. April 2020
Windhoek, Namibia
Windhoek, Namibia
Dankbarkeit in Krisenzeiten
Die Welt versucht sich gerade darin still zu stehen. An einigen Orten gelingt das besser, an anderen scheint dieses Unterfangen unmöglich. Wir beide haben das Privileg die Zeit in einer kleinen gemütlichen Wohnung in Windhoek verbringen zu dürfen. Elf Monate waren wir nun mehr oder weniger immer in Bewegung, unterwegs, wenn auch langsam, am Reisen halt. Das Unterwegs sein, das Grenzen überqueren und das unter Menschen sein wurde unerwartet durchkreuzt. Unser Leben wurde zum Anhalten gezwungen wie das Leben so vieler Leute weltweit momentan.
Die Schlagwörter sind auch hier «Hände waschen», «social distancing» und «zu Hause bleiben». Das klingt für uns als Schweizer*in so simpel und verständlich. Genauer betrachtet ist dies aber Luxus. Nur wer zu der reichen Bevölkerungsschicht dieser Welt gehört oder in einem sehr entwickelten Land lebt, kann sich dies leisten. Dazu gehört ohne Frage ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung. In vielen Ländern sind diese im Grundbegriff einfachen Massnahmen nicht umsetzbar. So auch nicht in Afrika. Auf diesem Kontinent gibt es kein Land, dass diese Massnahmen konsequent umsetzen kann:
Dass die Menschen hier zu Hause bleiben und soziale Kontakte auf ein Minimum reduzieren sollen, ist nicht möglich. Der Ausbreitung von Corona und der oben genannten Massnahmen sind sich die Leute bewusst. Die Menschen können sich dies ganz einfach nicht leisten. Es ist zu teuer.
In den Zeitungen lesen wir, dass ein Lockdown nur in reichen Ländern funktioniert (Abjy Ahmed, 2020). Trotzdem versuchen sich hier einige Länder an einem Lockdown wie Südafrika, Ruanda und einige andere.
Wir machen uns gerade Sorgen um Afrika. Die kommunizierten Fallzahlen sind tief. Wie hoch sie wirklich sind, weiss niemand. Tests und Labors sind zu wenige vorhanden. Zugang zu einem Gesundheitssystem ist hier noch immer die Ausnahme, nicht die Norm. Über die (nicht) vorhandenen Krankenbetten oder gar Intensivstation-Plätze ganz zu schweigen. Corona könnte für afrikanische Länder in einer grossen Katastrophe enden. Hinzu kommen weitgehende Folgen für Mensch und Natur. Der Tourismus, der den Grossteil des Natur- und Artenschutzes finanziert, bricht ein oder fällt weg. Nationalparks können Natur und Tier weniger vor Wilderen schützen. Ein gesamtes, fragiles Ökosystem ist gefährdet.
Gleichzeitig lesen wir in den Schweizer Medien davon, dass der Bund gerade 900 Beatmungsgeräte bestellt hat (SRF, 2020a) und Milliarden als Wirtschaftshilfe zur Verfügung stellt (SRF, 2020b). Das finden wir ehrlich wichtig und wertvoll. Trotzdem löst es ein komisches Gefühl in uns aus. Jeder Staat schaut gerade für sich und das bei einem Virus, der keine Grenzkontrolle kennt.
Wir sind gerade unglaublich Dankbar für unser Leben. Wir haben eine gemütliche Wohnung mit Terrasse, eine eigene Küche mit Kühlschrank, eine breite Auswahl an Lebensmitteln um Abwechslungsreich kochen zu können, ein Badezimmer mit fliessen warmen Wasser, Ersparnisse, Internetverbindung inkl. Guthaben, saubere Luft und kaum Abgase, viel Sonne und warmes Wetter, Einander, eine Regierung, die über die Lage in Namibia informiert, einen Pass mit dem wir abgeholt werden würden, Klopapier und Seife, Handdesinfektionsmittel, Glace im Gefrierfach, eine gute Krankenversicherung, Bücher zum Lesen, Papier zum Bemalen, Spiele zum Spielen. Wir können zu Hause bleiben. Wir können soziale Kontakte meiden. Wir können uns die Hände ständig waschen.
Es geht uns mit diesem Text nicht darum Menschen in der Schweiz ein schlechtes Gewissen zu machen. Uns ist bewusst, dass die aktuelle Situation auch in der Schweiz herausfordernd ist: die Decke fällt einem zu Hause auf den Kopf, soziale Kontakte fehlen und draussen kommt der Frühling. Trotzdem möchten wir zu mehr Dankbarkeit sensibilisieren. Wenn man etwas genauer hinschaut, dann gibt es da und dort ganz viele kleine und grosse Dinge, für die jede und jeder gerade sehr dankbar sein darf.
Für diejenigen, die Interesse an der Situation in afrikanischen Ländern haben, hier ein paar Artikel:
Darüber, was aus der Ebola-Krise gelernt werden kann (deutsch):
https://www.capital.de/wirtschaft-politik/von-ebola-lernen-afrika-und-das-coronavirus
Rede des äthiopischen Präsidenten Abiy Ahmed (Friedensnobelpreisträger 2019) über die Situation in Afrika und deren Auswirkung auf die Welt (englisch):
https://www.ft.com/content/c12a09c8-6db6-11ea-89df-41bea055720b
Über die Situation in Südafrika vor dem Lockdown (englisch):
https://www.bbc.com/news/world-africa-51949125
Quellen:
Financial Times: If Covid-19 is not beaten in Africa it will return to haunt us all
https://www.ft.com/content/c12a09c8-6db6-11ea-89df-41bea055720b
Deutsche Welle: Afrika: Mehr Armut trotz Wirtschaftswachstum
https://www.dw.com/de/afrika-mehr-armut-trotz-wirtschaftswachstum/a-52829597
SRF: Neue Beatmungsgeräte – aber woher?
https://www.srf.ch/news/schweiz/knappheit-wegen-coronavirus-neue-beatmungsgeraete-aber-woher
SRF: Beispielloses Hilfspaket während beispielloser Krise
https://www.srf.ch/news/wirtschaft/mit-milliarden-gegen-corona-beispielloses-hilfspaket-waehrend-beispielloser-krise
Die Schlagwörter sind auch hier «Hände waschen», «social distancing» und «zu Hause bleiben». Das klingt für uns als Schweizer*in so simpel und verständlich. Genauer betrachtet ist dies aber Luxus. Nur wer zu der reichen Bevölkerungsschicht dieser Welt gehört oder in einem sehr entwickelten Land lebt, kann sich dies leisten. Dazu gehört ohne Frage ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung. In vielen Ländern sind diese im Grundbegriff einfachen Massnahmen nicht umsetzbar. So auch nicht in Afrika. Auf diesem Kontinent gibt es kein Land, dass diese Massnahmen konsequent umsetzen kann:
- Ein Grossteil der Bevölkerungen hat keinen Zugang zu der Menge an Wasser, dass die Hände regelmässig gewaschen werden könnten. Für Handdesinfektionsmittel fehlt das Geld.
- Das gemeinschaftliche Zusammenleben in ländlichen Gegenden in Afrika hat einen hohen Stellenwert. Es teilen sich mehrere Generationen ein Zuhause. Dabei sind die Platzverhältnisse eng bemessen und Betten werden geteilt. Das Leben findet draussen statt, im Innenhof, der mit anderen Familien geteilt wird. Dort wird gemeinsam gekocht und gewaschen. Vielfach wird gemeinsam aus einer grossen Platte gegessen.
- In ländlichen Regionen hat es unzählige Bäuerinnen und Bauern. Jeder Quadratmeter fruchtbare Erde wird bepflanzt, geerntet und die Ernte danach verkauft. Die Landwirtschaft lebt mit den Jahreszeiten und das lässt sich nicht anhalten. Würden die Menschen nicht mehr auf die Felder gehen, droht in den folgenden Monaten eine Hungerkrise.
- Etwa 40 % der Menschen leben von weniger als 2 CHF am Tag (Deutsche Welle, 2020). Dieses Geld wird meist direkt nach dem Verdienst für Lebensmittel und anderes ausgegeben. Menschen, die Gemüse auf dem Markt verkaufen, Haare schneiden und frisieren, fliegende Händler*innen, die ihre Ware auf den Strassen verkaufen, Taxifahrer*innen und Parkplatzwächter*innen können ihre Arbeit nicht spontan für ein paar Wochen niederlegen. Erspartes gibt es kaum.
- Dann sind da noch Slums, Townships und Flüchtlingslager. Die hygienischen Zustände sind schlecht, Toiletten werden zu hunderten geteilt und die Menschen leben eng aufeinander. Für mehrere Wochen mit der gesamten Familie auf vier Quadratmeter zu bleiben ist nicht umsetzbar.
Dass die Menschen hier zu Hause bleiben und soziale Kontakte auf ein Minimum reduzieren sollen, ist nicht möglich. Der Ausbreitung von Corona und der oben genannten Massnahmen sind sich die Leute bewusst. Die Menschen können sich dies ganz einfach nicht leisten. Es ist zu teuer.
In den Zeitungen lesen wir, dass ein Lockdown nur in reichen Ländern funktioniert (Abjy Ahmed, 2020). Trotzdem versuchen sich hier einige Länder an einem Lockdown wie Südafrika, Ruanda und einige andere.
Wir machen uns gerade Sorgen um Afrika. Die kommunizierten Fallzahlen sind tief. Wie hoch sie wirklich sind, weiss niemand. Tests und Labors sind zu wenige vorhanden. Zugang zu einem Gesundheitssystem ist hier noch immer die Ausnahme, nicht die Norm. Über die (nicht) vorhandenen Krankenbetten oder gar Intensivstation-Plätze ganz zu schweigen. Corona könnte für afrikanische Länder in einer grossen Katastrophe enden. Hinzu kommen weitgehende Folgen für Mensch und Natur. Der Tourismus, der den Grossteil des Natur- und Artenschutzes finanziert, bricht ein oder fällt weg. Nationalparks können Natur und Tier weniger vor Wilderen schützen. Ein gesamtes, fragiles Ökosystem ist gefährdet.
Gleichzeitig lesen wir in den Schweizer Medien davon, dass der Bund gerade 900 Beatmungsgeräte bestellt hat (SRF, 2020a) und Milliarden als Wirtschaftshilfe zur Verfügung stellt (SRF, 2020b). Das finden wir ehrlich wichtig und wertvoll. Trotzdem löst es ein komisches Gefühl in uns aus. Jeder Staat schaut gerade für sich und das bei einem Virus, der keine Grenzkontrolle kennt.
Wir sind gerade unglaublich Dankbar für unser Leben. Wir haben eine gemütliche Wohnung mit Terrasse, eine eigene Küche mit Kühlschrank, eine breite Auswahl an Lebensmitteln um Abwechslungsreich kochen zu können, ein Badezimmer mit fliessen warmen Wasser, Ersparnisse, Internetverbindung inkl. Guthaben, saubere Luft und kaum Abgase, viel Sonne und warmes Wetter, Einander, eine Regierung, die über die Lage in Namibia informiert, einen Pass mit dem wir abgeholt werden würden, Klopapier und Seife, Handdesinfektionsmittel, Glace im Gefrierfach, eine gute Krankenversicherung, Bücher zum Lesen, Papier zum Bemalen, Spiele zum Spielen. Wir können zu Hause bleiben. Wir können soziale Kontakte meiden. Wir können uns die Hände ständig waschen.
Es geht uns mit diesem Text nicht darum Menschen in der Schweiz ein schlechtes Gewissen zu machen. Uns ist bewusst, dass die aktuelle Situation auch in der Schweiz herausfordernd ist: die Decke fällt einem zu Hause auf den Kopf, soziale Kontakte fehlen und draussen kommt der Frühling. Trotzdem möchten wir zu mehr Dankbarkeit sensibilisieren. Wenn man etwas genauer hinschaut, dann gibt es da und dort ganz viele kleine und grosse Dinge, für die jede und jeder gerade sehr dankbar sein darf.
Für diejenigen, die Interesse an der Situation in afrikanischen Ländern haben, hier ein paar Artikel:
Darüber, was aus der Ebola-Krise gelernt werden kann (deutsch):
https://www.capital.de/wirtschaft-politik/von-ebola-lernen-afrika-und-das-coronavirus
Rede des äthiopischen Präsidenten Abiy Ahmed (Friedensnobelpreisträger 2019) über die Situation in Afrika und deren Auswirkung auf die Welt (englisch):
https://www.ft.com/content/c12a09c8-6db6-11ea-89df-41bea055720b
Über die Situation in Südafrika vor dem Lockdown (englisch):
https://www.bbc.com/news/world-africa-51949125
Quellen:
Financial Times: If Covid-19 is not beaten in Africa it will return to haunt us all
https://www.ft.com/content/c12a09c8-6db6-11ea-89df-41bea055720b
Deutsche Welle: Afrika: Mehr Armut trotz Wirtschaftswachstum
https://www.dw.com/de/afrika-mehr-armut-trotz-wirtschaftswachstum/a-52829597
SRF: Neue Beatmungsgeräte – aber woher?
https://www.srf.ch/news/schweiz/knappheit-wegen-coronavirus-neue-beatmungsgeraete-aber-woher
SRF: Beispielloses Hilfspaket während beispielloser Krise
https://www.srf.ch/news/wirtschaft/mit-milliarden-gegen-corona-beispielloses-hilfspaket-waehrend-beispielloser-krise