25. April 2020
Windhoek, Namibia
Windhoek, Namibia
In Afrika unterwegs - was haben wir gelernt
Wir waren nun etwa 15 Monate mit dem Rucksack unterwegs. Hauptsächlich mit Busen, Zügen, per Autostopp, mit dem Velotaxi und in Namibia dann auch mit einem eigenen Auto. Das unterwegs sein ist zu unserem Alltag geworden. Nach dieser Zeit können wir von uns durchaus behaupten, dass wir so einiges gelernt haben.
Wir haben gelernt…
Und ganz philosophisch:
Wir haben stets versucht den Menschen und Tieren mit Neugier an ihrem Leben und ohne Vorurteile zu begegnen. Einerseits entstanden so in ganz alltäglichen Situationen wie im Bus, Taxi, Restaurant oder auf der Strasse erstaunlich spannende Gespräche. Nicht selten wurden wir gefragt, warum wir diese Fragen stellen und so interessiert an ihrem Alltag seien. Das wohl prägendste Erlebnis diesbezüglich war unsere Zugfahrt quer durch Tansania von Daressalam nach Kigoma. Die Fahrt dauerte unzählige Stunden durch die Nacht und gegenüber sass ein jüngerer Mann und sein kleiner Neffe. Wir teilten alle unsere Reiseverpflegung und kamen so ins Gespräch. Am Ende der Zugfahrt waren wir zu seiner Hochzeit in einem winzigen Dorf an der Grenze zu Burundi eingeladen und nahmen natürlich daran teil. Wie jemand in den Busch ruft, so ruft der Busch zurück. Und wird in den Busch gerufen, so funktioniert das Buschtelefon garantiert.
Wir haben gelernt…
- wie wir uns auf einer muslimischen Hochzeit verhalten sollten.
- wie Ugali/Nsima/Pap mit den Händen so geformt wird, dass die Sauce darin hält beim Essen.
- wie Termiten schmecken.
- dass Nilpferde tatsächlich einen Zweck haben im Circle of Life. Diese Tiere hielten wir lange für zweck- und sinnbefreit. In unseren Augen waren sie halt einfach da – im Wasser liegend, kuhartige Geräusche machend und aggressiv. Aber tatsächlich trampeln diese im Okavango-Delta alle Pfade, damit das Wasser in die gesamte Ebene fliessen kann. Was sie allerdings andernorts machen ist uns noch immer schleierhaft.
- dass es Löwen und Elefanten gibt, die in der Wüste leben.
- Wasser mit Sprudel ist nicht weltweit vorhanden.
- dass es eine Gazelle gibt, die mehrere Monate nichts trinken muss.
- dass man in Namibia vor 120 Jahren Diamanten in der Wüste sammeln konnte – so lange bis die Dose voll war, die man dabei hatte. Es scheint, wir sind zu spät.
- dass immer noch einer mehr Platz hat im Matatu (Minibus). Immer.
- dass der Vogelstrauss vielleicht tatsächlich ein etwas zweckbefreites Leben führt. Wir warten noch auf das Aha-Erlebnis.
- dass das Wort «jetzt» hier verschiedene Abstufungen kennt. «Now» bedeutet bald einmal, Beispiel: «I´m now there» vom Taxifahrer am Telefon bedeutet «Ich bringe den aktuellen Gast noch zum Zielort und dann mach ich mich auf den Weg zu dir». «Now Now» bedeutet jetzt gleich, Beispiel: «It is now now ready» im Restaurant bedeutet «In der Pfanne ist es fertig, wir müssen es noch anrichten und jemanden finden, der es serviert». «Now now now» bedeutet so richtig jetzt, Beispiel: «At which time shall we meet? Now now now» bedeutet «Wir treffen uns absolut genau jetzt».
- dass eine ausführliche Begrüssung mit Austausch über das Befinden und das Ziel des Weges dazu gehört. Dafür ist immer Zeit vorhanden. Small talk haben wir lieben gelernt.
- dass nur so viel Benzin im Auto ist, wie für die Strecke auch benötigt wird. Gibt es Fehlberechnungen rennt halt eine:r mit der Petflasche.
- dass uns ein siebter Sinn für ein Rhytmusgefühl fehlt.
- dass wir nie alleine sind und immer Hilfe bekommen.
- dass bisher an fast jedem Grenzübergang grosses Interesse an unserer Körpertemperatur da war. Auch vor Corona.
- dass alles ein zweites, drittes und viertes Leben verdient hat. Kaum etwas wird weggeworfen, alles wird repariert oder zu einem anderen Zweck verwendet. Eine alte Petflasche dient als Trichter, ein altes T-Shirt wird zum Putzlappen oder ein alter Felgen wird zum Kohlegrill.
- dass ein selbsternannter Priester überall Arbeiten kann. Predigen geht im grossen und im kleinen Bus, im Stadtpark, in der Fussgängerzone oder am Eingang zum Einkaufszentrum. Die laute Interpretation diverser Bibelstellen geht überall.
- Diamanten bestehen eigentlich aus reinem Kohlenstoff und somit können sie verbrannt werden.
- Ugali/Nsima/Pap oder wie der polentaartige Maisbrei noch genannt wird, ist heiliges Nationalgericht aller Nationen auf einem Grossteil dieses Kontinentes. Gesalzen wird es nirgends.
- dass Spaghetti zuerst halbiert und erst dann ins kochende Wasser getan werden.
- dass es keine Busstationen gibt in Ostafrika, sondern nur Häuser in denen Menschen wohnen. Die kennt jede:r. Da wird angehalten.
- dass Zeit relativ ist und immer mehr vorhanden ist als angenommen. In was jede und jeder die eigene Zeit investieren möchte ist individuell. Vorhanden wäre sie aber.
- dass unser Instinkt, das bekannte Bauchgefühl von grundlegender Bedeutung ist. Hat sich etwas gut angefühlt, sind wir dem gefolgt. Hat sich etwas komisch angefühlt, haben wir etwas an der Situation verändert. Diese Spontanität und Flexibilität macht uns zufrieden und öffnete uns unbekannte Türen. Grössere und längerfristige Pläne haben wir selten gemacht. Wir haben unseren eigenen Rhythmus gefunden, sind ihm gefolgt und tun dies weiterhin.
- dass Schwangerschaftsvorsorge in Namibia unkomplizierter ist als in der Schweiz und weniger somit auch mehr sein kann.
- dass ein Besenstiel nicht länger als 30cm ist. Und er hängt stolz in jedem Museum als «Local Broom».
- dass gute Freundschaften so einiges an Distanz aushalten und neu gewonnene Freundschaften dies ebenso können.
- wie weit wir Menschen in Ländern des globalen Nordens uns von einem natürlichen Leben wegbewegt haben. In der Schweiz leben wir in einem grossen materiellen Überfluss und brauchen weit mehr Ressourcen als wir dürften. Wir haben Vorräte für alles, Medikamente gegen alles zu Hause und keine Zeit füreinander.
- das zu schätzen was wir haben.
Und ganz philosophisch:
- dass Glück nicht ein zu erreichendes Ziel, sondern eine Lebenseinstellung ist. Grosse aber auch kleine Dinge auf dem Weg haben uns glücklich gemacht, immer dann, wenn wir dies zugelassen haben.
Wir haben stets versucht den Menschen und Tieren mit Neugier an ihrem Leben und ohne Vorurteile zu begegnen. Einerseits entstanden so in ganz alltäglichen Situationen wie im Bus, Taxi, Restaurant oder auf der Strasse erstaunlich spannende Gespräche. Nicht selten wurden wir gefragt, warum wir diese Fragen stellen und so interessiert an ihrem Alltag seien. Das wohl prägendste Erlebnis diesbezüglich war unsere Zugfahrt quer durch Tansania von Daressalam nach Kigoma. Die Fahrt dauerte unzählige Stunden durch die Nacht und gegenüber sass ein jüngerer Mann und sein kleiner Neffe. Wir teilten alle unsere Reiseverpflegung und kamen so ins Gespräch. Am Ende der Zugfahrt waren wir zu seiner Hochzeit in einem winzigen Dorf an der Grenze zu Burundi eingeladen und nahmen natürlich daran teil. Wie jemand in den Busch ruft, so ruft der Busch zurück. Und wird in den Busch gerufen, so funktioniert das Buschtelefon garantiert.